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„Chefs müssen gegen die Fluktuation ankämpfen“

Ilario Deana spricht im Interview über Mitarbeiterführung im Wandel

Die heutige Arbeitswelt unterliegt dynamischen Veränderungen. Was vor einigen Jahren noch Gang und Gebe war, ist in Zeiten von War for Talents undenkbar. Beste Beispiele dafür sind strenge Hierarchien und starre Entscheidungswege. Der kontinuierliche Wandel verändert die Anforderungen an Führungspersonen signifikant, wie Trainer und Coach Ilario Deana im Interview erläutert.

Herr Deana, Mitarbeiterführung ist Ihr Daily Business. Mit welchen neuen Aufgaben sind Führungskräfte heute konfrontiert?

Wenn man Statistiken Glauben schenkt, verlassen ca. 80 % aller Mitarbeiter ein Unternehmen, weil sie mit der Führung nicht zufrieden sind. Führungskräfte haben demnach einen überaus hohen Einfluss auf die Fluktuationsrate. Ein Thema, dem in Zeiten von War for Talents immer mehr Bedeutung zukommt. Führungskräfte müssen aktiv daran arbeiten, ihre Mitarbeiter zufriedenzustellen und zu motivieren. Das hat heute mit Sicherheit mehr Relevanz als noch vor einigen Jahren. In meinen Trainings tausche ich mich mit vielen Arbeitnehmern aus, die sich selbst bei der Arbeit nicht gut geführt fühlen und dadurch extrem demotiviert sind. Es gibt also definitiv Handlungsbedarf. Mehr als je zuvor müssen Führungskräfte als Motivationsförderer und Mentor tätig werden und die individuelle Weiterentwicklung ihrer Teammitglieder vorantreiben.

Ist Führungsarbeit überhaupt noch angebracht bzw. zeitgemäss?

Ja, natürlich. Als Führungskraft führen Sie ständig. Nur die Intensität ändert sich. Heute sind viele Mitarbeiter bereits so selbständig, dass sie kaum noch direkten Kontakt zu ihren Chefs haben, beispielsweise, wenn sie im Aussendienst oder Homeoffice tätig sind. Umso wichtiger ist es, klare Führungsleitsätze zu haben, den Mitarbeitern Wertschätzung zu zeigen und sie zu motivieren. Egal ob Kennzahlen oder Feedback-Gespräche: Respekt und Vertrauen sowie verbindliche (SMART) Vereinbarungen sind die Basis gelungener Führung. So können Sie Enttäuschungen oder Missverständnisse ausschliessen.

Wie kann ein guter Personalverantwortlicher auf Augenhöhe mit Mitarbeitern agieren und kommunizieren?

Wesentliche Erfolgsfaktoren sind für mich gegenseitiger Respekt und Vertrauen sowie die Fähigkeit, anderen zuzuhören. Jeder Mensch möchte geachtet werden – egal ob im Berufsalltag oder im Privatleben. Ausserdem ist es wichtig, dass Mitarbeiter das Gefühl haben, dass ihnen etwas zugetraut wird; das Bedürfnis nach selbstbestimmtem und flexiblem Arbeiten wächst zunehmend. Führungskräfte müssen lernen, loszulassen und gleichzeitig ein Auge auf die Entwicklungen werfen. Das ist mit Sicherheit keine einfache Aufgabe, doch der Arbeitsmarkt schreit nach derartigen Veränderungen.

Kann man diese Art der Führung lernen?

Wenn man die wesentlichen Werkzeuge gelungener Führung bereits verinnerlicht hat, ist es mit viel Training durchaus möglich, neue Anforderungen zu verstehen und den eigenen Führungsstil anzupassen. Ich halte es in diesem Zusammenhang für unabdingbar, die Charaktereigenschaften der jungen Generation nachzuvollziehen und zu verstehen. Nur wer die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter kennt, kann sie bedienen. Und das ist für Firmen sehr wichtig, schliesslich leiden viele am Fachkräftemangel und müssen sich intensiv mit dem Thema Employer Branding befassen. Unternehmen müssen sich auf dem Arbeitsmarkt interessant und attraktiv präsentieren. Neben flexiblen Arbeitszeitmodellen, modernisierten Arbeitsplätzen, Teambuilding-Massnahmen und vielem mehr ist die Führungskultur ein wesentlicher Bestandteil der eigenen Aussenwirkung.

Stichwort Personalverantwortung: Darf ein Chef in Zeiten des Fachkräftemangels überhaupt noch eine Kündigung aussprechen?

Eine gute Frage. Ich bin ein grosser Fan klarer und konsequenter Entscheidungen. Sie können es Mitarbeitern nicht durchgehen lassen, dass sie gegen Recht und Sitten verstossen, denn schliesslich könnte dies auch auf andere Mitarbeiter abfärben. Es gibt Situationen, in denen bestimmte Mitarbeiter das Unternehmen trotz guter Arbeit nicht mehr weiterbringen. Der Markt verändert sich ständig und die eigene Unternehmensstruktur muss angepasst werden. So kann es passieren, dass in der veränderten Struktur andere Fähigkeiten in den Abteilungen gefragt sind, die die bestehenden Mitarbeiter nicht mehr erfüllen können. Ich empfehle, sich im Dreijahresrhythmus zu fragen, ob noch die richtigen Mitarbeiter am richtigen Platz sind.

Auf Führungskräfte kommen also immer neue Aufgaben zu. Welche Herausforderungen sind für sie besonders schwer zu bestehen?

Für Führungskräfte ist es oft schwierig, Nähe und Distanz zu den Mitarbeitern individuell richtig einzuschätzen. So kommt es vor, dass Mitarbeiter sich entweder nicht abgeholt oder zu intensiv betreut fühlen. Der Chef wirkt entweder desinteressiert oder zu kollegial: eine lose lose-Situation.

Diese Unsicherheiten lassen sich aber mit einfachen Führungsleitsätzen beheben. Wichtig ist, dass dieses Regelwerk allen Mitarbeitern zugänglich gemacht wird. Eine weitere schwierige Aufgabe ist der ehrliche Umgang mit persönlichen Themen. Ein Chef hat nicht nur fachliche Führungsaufgaben, sondern muss auch Themen wie Körpergeruch etc. ansprechen. Vielen ist das sehr unangenehm, doch unnötiges Aufschieben verschlimmert die Situation meistens zusätzlich.

Wie können sich Personalverantwortliche optimal auf individuelle Mitarbeiterpersönlichkeiten einstellen und vorbereiten?

Young Professionals haben heute mit Sicherheit ein anderes Selbstbewusst sein als Arbeitnehmer früher. Das heisst nicht, dass der Umgang mit ihnen unbedingt schwieriger sein muss. Führungskräfte sollten sich die Zeit nehmen, die Mitarbeiter individuell kennenzulernen. Finden Sie heraus, welche persönlichen und fachlichen Ziele die Mitarbeiter haben und versuchen Sie, sie gemäss den Fähigkeiten und Wünschen einzusetzen. Dabei ist es sicher leichter, Stärken zu fördern als an Schwächen zu arbeiten, doch auch das gehört zu gelungener Führungsarbeit im Sinne des Unternehmens.